CORVUS 1-02
Corvus war nicht sonderlich überrascht. Gegen die Insobru hatte er schon zweimal gekämpft, und beide Male waren die Goblins beim ersten Angriff der Legionäre in Panik geraten und hatten die Flucht ergriffen. Ein feiger Stamm, selbst für Goblinverhältnisse, und sie machten einfach alles so wie ihr schreckhafter Häuptling. Proculus, der oberste Zenturio der zweiten Kohorte der Legio XVII, hatte ebenso wie Corvus bereits mit ihnen Erfahrungen gesammelt.
"Wie üblich", nickte Corvus. Er wandte sich an die beiden Späher. "Haben sie euch gesehen?"
Die Männer schüttelten den Kopf.
Einer der beiden, ein stämmiger Mann mit einem langen roten Kratzer jüngeren Datums auf der linken Wange, setzte sich im Sattel auf. "Nicht direkt, General. Wir stiegen ab, als wir ihre Feuer rochen. Auch zu Fuß konnten wir schwer näher an sie herankommen, aber dann fanden wir in der Nähe im Wald eine Anhöhe, von der aus wir fast alles sehen konnten. Die beiden Stämme haben getrennte Lager, und die Vakhyi waren sicher schon eine Weile dort, denn es stank gewaltig."
"Und wo hast du dich geschnitten, beim Rasieren?" fragte Corvus spitz.
"Naja, ich wollte es gerade berichten. Auf dem Rückweg, circa eine Leuge weiter, stießen wir auf eine Fußpatrouille. Wir haben alle drei getötet, aber einer hat mir mit seinem Sauspieß fast das Auge ausgestochen. Geschrien haben sie nicht, und wir haben die Leichen in den Wald gebracht, bevor wir weitergeritten sind, also werden sie wohl keine Ahnung haben, dass die Legion in der Nähe ist."
"Ich glaube, es waren Chaloni", fügte der andere Späher hinzu. Er sah erschreckend jung aus, jünger noch als Corvus' Sohn. Corvus konnte sich nicht genau an den Namen des Jungen erinnern, Faberus vielleicht. "Die Patrouille, die wir getötet haben, meine ich. Die anderen, die Vakhii, waren immer zu viert unterwegs, nicht zu dritt. Und sie hatten das Haar anders gebunden - irgendwie verdreht."
Corvus nickte anerkennend. Das hatte der junge Kundschafter sehr gut beobachtet. Vermutlich hatte Faberus, wenn der Junge wirklich so hieß, die Lagerfeuer als Erster gerochen. Wie hieß doch gleich der ältere Späher? Lacunus? Nein, das war es nicht. Labeculus!
"Sehr gut gemacht, ihr beiden. Und jetzt, Labeculus, zurück ins Lager, wenn ich bitten darf, und direkt zum Medicus. Lass den Kratzer sofort säubern. Du siehst schon jetzt nicht gerade gut aus, aber wenn die Fäulnis einsetzt und sie dir das halbe Gesicht wegschneiden, wirst du noch weit weniger gut ausschauen. Diese Gobbos säubern ihre Speere nie. Faberus kann uns den Weg zu ihnen sicher allein zeigen. Und richte deinem Dekurio aus, dass die dritte Schwadron heute Abend doppelte Rationen an Fleisch und Wein bekommt."
Labeculus sah aus, als wolle er dagegen protestieren, dass man ihn zurückschickte, aber er quittierte die Anweisung mit einem energischen Salut und einer knappen Verbeugung. "Auf der Stelle, General. Ich danke Euch, General."
Der verwundete Späher lenkte sein Pferd zurück Richtung Lager, während seinem jungen Begleiter die Kinnlade herabfiel vor Erstaunen, dass Corvus ihre Namen kannte.
Corvus war amüsiert. Er hoffte, dass Marcus gut achtgab. Es war ein uralter Feldherrentrick, einen Soldaten beim Namen zu nennen, aber immer noch das wirksamste Mittel, um jene engen Bande zu knüpfen, durch die sich eine disziplinierte Streitmacht von einem bewaffneten Mob unterschied.
Er wandte sich seinem Sohn zu, der mit neutraler Miene auf dem Pferd saß und, ganz wie es sich gehörte, so tat, als hätte er nicht bemerkt, dass sein Kommandant irgendetwas gesagt oder getan hatte. "Nun, Tribun Valerius, da unsere Späher den Feind offenbar geortet haben, obliegt uns nunmehr die Entscheidung, wo genau wir ihn stellen werden. Ich gehe davon aus, dass Ihr bereit seid, den Legaten und mich bei dieser Aufgabe zu unterstützen?"
"Ja, mein Herr, General. Ich bin bereit, mein Herr."
Corvus lächelte. Sein Sohn vermied es beharrlich, ihm in die Augen zu sehen, und hatte den Blick starr auf ein imaginäres Objekt oberhalb von Corvus' linker Schulter gerichtet, womit er sich streng an die Vorschriften für Nachwuchsoffiziere hielt. "Rührt Euch, Tribun Clericus. Marcus, du begleitest mich in deiner Eigenschaft als Sohn und nicht, weil Saturnius seinen jüngsten Tribun braucht, um das günstigste Terrain zu identifizieren."
"Bei allem Respekt, General", sagte Saturnius, "Mein jüngster Tribun ist nicht Valerius Clericus, sondern Trebonius."
"Tatsächlich? Nun, wie dem auch sei, es scheint, dass uns morgen die erste echte Schlacht der Legio XVII bevorsteht. Ich bin, wie ihr wohl versteht, besorgt über die Einsatzfähigkeit des rechten Flügels, der unter dem Kommando von Fortex stehen wird, unterstützt von dir, Marcus. Das allein dürfte jeden Mann in Angst und Schrecken versetzen, der euch beide als Jungen kannte, allerdings nicht den Feind. Und da die Schatten noch nicht so lang sind, dass wir nicht vor Sonnenuntergang zehn Leugen weit reiten können, dachte ich, es könnte dir zum Vorteil gereichen, wenn du die Früchte deiner Lektüre auf die Praxis anwendest."
"Ich stehe dem Stragister zu Diensten, mein Herr." Marcus nickte emotionslos, konnte aber trotz aller förmlichen Zurückhaltung ein leichtes Lächeln der Freude nicht ganz verbergen. "Vielen Dank, General."
"Eine rührende Zurschaustellung väterlicher Zuneigung!" Saturnius schnaubte hämisch angesichts ihrer Förmlichkeit und wandte sich an den Späher: "Faberus, was hältst du von diesen Umgangsformen zwischen Vater und Sohn?"
Der junge Mann zuckte im Sattel zusammen. "Ich würde mir da keinerlei Meinung anmaßen, Legat."
Saturnius lachte schallend. "Gut gesprochen, Junge! Also gut, Corvus, machen wir uns auf den Weg und schauen, ob wir einen passenden Ort finden, um ein paar Goblins zu erledigen. Tribun Clericus, bis wir ins Lager zurückkehren, werdet Ihr den Stragister Militum mit 'Vater' ansprechen. Das ist ein Befehl, Tribun!"
"Ja, Herr. Verstanden, Herr."
"Patrizier!" Der kleine Legat lachte. "Der Kopf aus Holz und das Herz aus Eis. Ein Wunder, dass die Kriegerhäuser nicht schon vor Jahrhunderten ausgestorben sind. Faberus, trommle vier Ritter zusammen; wir treffen uns dann am Fuße des Hügels. Es muss doch ein geeignetes Stück Land zwischen uns und ihnen geben."
To receive email notifications of Alpines section posts, you must opt-in even if you are already a Castalia Library subscriber. Dashboard - Subscriptions - Castalia Library.