CORVUS 1-01
Sextus Valerius Corvus stand auf dem Kamm eines kleinen Hügels, der das umliegende Terrain überragte, und beobachtete, wie tausende von ihm befehligte Männer auf einem etwas höheren Hügel im Süden zügig aus Holz eine kleine Stadt errichteten. Neben ihm standen vier Reiter, die ihm gleichzeitig als Boten und als Wachen dienten. Er plante, die Armee mindestens drei Tage lang hier zu belassen, so dass seine Späher genug Zeit hatten herauszufinden, ob die Goblinstämme, mit denen sie sich schon seit Wochen Scharmützel lieferten, Hilfe von den Chalonu und Insobru erwarten konnten.
Die Männer kamen mit dem Aufbau der Castra gut voran, stellte er zufrieden fest. Schon waren die quadratischen Umrisse des Verteidigungsgrabens zu erkennen, und aus dem nahen Wald wurden die ersten Bäume herbeigeschleppt, während der Schlag der Äxte im vertrauten Rhythmus ertönte. Allerdings gab es natürlich kaum eine bessere Motivation als das Bewusstsein, dass jederzeit zwanzigtausend kreischende Goblins ohne Vorwarnung attackieren konnten. Man schlief einfach besser in einem Zelt, das durch einen tiefen Graben und eine hohe Holzpalisade vor einem Feind geschützt war, der einen nicht nur töten, sondern ebenso gut vergewaltigen oder auffressen konnte.
Aus dem Wald kamen zwei Reiter in vollem Galopp. Corvus runzelte die Stirn. Späher der Zweiten Kavallerie, wenn er sich richtig an den Plan der Patrouillen erinnerte. Die beiden Männer wurden kurz von den Wachen aufgehalten, die jetzt schon neben der im Entstehen begriffenen Porta Principalis postiert waren, und ritten dann auf das bereits fertig aufgebaute Kommandozelt in der Mitte des Lagers zu.
Corvus lächelte finster, als sie abstiegen und wild gestikulierten, um den Wachen vor dem Zelt etwas zu signalisieren. Anscheinend hatten die beiden Kundschafter endlich die Armee der alliierten Stämme, nach der er suchte, ausfindig gemacht. Mit etwas Glück würde er sie bald in die Schlacht führen können, am besten schon am nächsten Tag. Falls sie tatsächlich das Heer der Goblins gefunden hatten, stellte sich nur noch die Frage, aus wie vielen Stämmen es sich zusammensetzte und wo er auf sie treffen würde.
"Geh zum Lager und sag dem Legaten und dem Tribun Valerius, dass sie sofort herkommen sollen", befahl er einem seiner Wächter. "Bewaffnet und in Rüstung."
"Sofort, mein General." Der Reiter salutierte und wollte schon sein Pferd besteigen, dann zögerte er und wandte sich um. "Äh, welchen Tribun Valerius meint Ihr, General? Fortex oder Clericus?"
"Marcus", antwortete Corvus mit einem Lächeln. "Den Sohn, nicht den Neffen." Der Spitzname, den die Männer seinem Sohn gegeben hatten, gefiel ihm nicht sonderlich. Aber lieber dieser Spitzname Clericus - Priester - als wenn Marcus tatsächlich die heiligen Gelübde abgelegt hätte.
"Ich eile, mein General!" Der Mann ritt mit einer solchen Geschwindigkeit den Hügel hinunter, dass Corvus einen Augenblick lang befürchtete, das Pferd würde stolpern und dem Reiter das Genick brechen.
Sie waren noch so jung, diese Ritter, und so verzweifelt bemüht, Eindruck auf ihre Umgebung zu machen, insbesondere auf den Führungsstab. Es würde nicht einfach sein, sie im Zaum zu halten, wenn sie auf den Feind trafen, was, wenn er das Verhalten der beiden Späher richtig deutete, eher früher als später der Fall sein dürfte.
Was für eine Erlösung, nach den langen Herbstmärschen endlich die elenden Goblinstämme auf dem Schlachtfeld zu stellen. Die Sonne stand jeden Tag niedriger, und in letzter Zeit lag der Morgentau bereits oft als Frost auf dem Gras. Am Hang unter ihm wurden die Schatten rasch länger. Wenn er die Goblins nicht bald zur Strecke brächte, würde er mit den Legionen zurück ins Reich marschieren und ein Winterquartier für sie finden müssen.
Plötzlich hörte er Lärm von außerhalb des Lagers, und musste die Überlegungen, wo er die drei ihm unterstellten Legionen am Ende des Feldzuges stationieren könnte, vorerst beiseitestellen. Vier Reiter kamen auf ihn zu, darunter einer mit dem gefiederten Helm eines Tribuns. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Marcus. Wie leicht hätte er statt des Helms auch die Mitra eines Bischofs tragen können!
Neben seinem Sohn ritt der Feldherr der Legion, Marcus Saturnius, ein kleiner Mann, eher weich als füllig, mit dem runden, freundlichen Gesicht eines wohlgenährten Metzgers. Darunter aber verbarg sich ein taktisch gewiefter Geist. Auch seine Schlachten focht der Legat wie ein Metzger, indem er seine Kohorten entschlossen durch die feindlichen Formationen vorantrieb, wobei sie links und rechts eine Spur von Blut und Zerstörung hinterließen. Dieser Goblinfeldzug war ihre achte gemeinsame Kampagne. Corvus hatte gelernt, den taktischen Instinkten seines Legaten zu vertrauen, und Saturnius war gern damit zufrieden, Corvus' Führungsstrategie umzusetzen.
Obwohl sie den gleichen Namen trugen, hatte sein Sohn wenig mit Saturnius gemeinsam. Marcus Valerius war ein echter Valerianer, mehr als einen Kopf größer als der Legat. Saturnius mit seinem runden Gesicht war von heiterem Gemüt, Marcus hingegen wirkte reserviert, ja sogar hochmütig. Die Männer mochten ihn Clericus nennen, aber Corvus war sicher, dass sein Sohn sich eines Tages einen eher kriegerischen Beinamen verdienen würde.
"Wie viele sind es?" rief Corvus, als die vier Reiter den Gipfel erreichten und ihre Pferde zügelten. Wohlweislich hatte Saturnius auch die soeben zurückgekehrten Späher mitgebracht. Ihre Rüstungen saßen schief und unordentlich, aber beide hatten frische Pferde.
"Achtzehntausend Fußsoldaten und zweitausend Wölfe", antwortete Saturnius. Das hatte Corvus vermutet. "Nur zwei Stämme. Nach dem Zustand der beiden Lager zu urteilen, sind die Vakhuyu schon mehrere Tage, vielleicht sogar seit einer Woche dort. Die Chalonu scheinen letzte Nacht angekommen zu sein. Beide befinden sich etwa fünf Leugen westlich von hier."
"Keine Spur von den Insobru?"
"Nichts. Sieht aus, als würde Proculus seine Wette gewinnen."
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